Isolani im Lockdown Teil 3 - Schach - Filme - Geheimnisse

Gespeichert von c4 am Sa., 30.01.2021 - 19:30

Das königliche Spiel bekommt derzeit so viel öffentliche Aufmerksamkeit wie schon lange nicht. Schach ist sexy geworden für die Mainstream-Medien.

Zuletzt stand Schach 1972 weltweit im feuilletonistischen Rampenlicht, als der höchst eigenwillige Robert Fischer sein legendäres WM-Match gegen Boris Spasski ausfocht. Danach boten sich noch die Matches Karpow - Kortschnoi (1978 und 1981) für eine Betrachtung außerhalb der Sportergebnisse an. Diese drei WM hatten immer eine gewaltige politische Dimension. Der Ostblock und die Westmächte saßen sich in Gestalt ihrer besten Schachspieler gegenüber. Das gab es danach nie wieder. Schach war die Sportart Nr. 1 in der Sowjetunion, staatlich großzügig gefördert mit dem Anspruch, die intellektuelle Überlegenheit des Kommunismus weltweit unter Beweis zu stellen. Und ein leicht irres, unverschämt großmäuliges amerikanisches Genie wie Fischer, das sich Schach weitgehend autodidaktisch beibrachte, durfte keinesfalls gegen den russischen Weltmeister siegen. Es erschienen damals sogar in der Schachzeitschrift der DDR skurrile "Leserbriefe", die sich über das Benehmen Fischers heftig echauffierten. So in dem Tenor: . . . So etwas gäbe es bei uns hier nicht, und der Fischer sei ein typisches Beispiel des faulenden, stinkenden Kapitalismus. Pfui, pfui, dieser verderbte Fischer wird wohl nicht gewinnen, weil ihm einfach der Charakter seines edlen sowjetischen Kontrahenten fehlt  . . . Usw.  
Nun, Fischer gewann.
Noch politisch brisanter waren diesbezüglich die WM-Kämpfe Karpow - Kortschnoi. Denn Kortschnoi war ein in der Sowjetunion geächteter, liebend gern totgeschwiegener Dissident, ein kürzlich geflohener "Verräter des sowjetischen Volkes". Karpow dagegen war der Musterknabe der sowjetischen Schachschule. Perfekt für die Mainstream-Medien wäre hier aber noch ein größenwahnsinniger Charismatiker wie Fischer gewesen.

Karpow gewann einmal knapp und einmal deutlich, und Fischers kometenhaftes Aufleuchten unterbrach nur kurz die jahrzehntelange sowjetische Hegemonie in der Schachwelt. 

Nun ist Schach plötzlich wieder mal total hip. Bemerkenswerter Weise ist das nicht ausgelöst von einem realen Ereignis in der Schachwelt, etwa durch einen Wettkampf der besten Schachspieler der Welt. Vielmehr ist es diesmal eine fiktionale, eskapistische Serie, die in fantastischen Bildern eine fesselnde Geschichte erzählt. Diese Bilder sind schöner als die Wirklichkeit es sein kann, sie wirken weniger wie das Leben in den 60er Jahren sondern eher so artifiziell wie ein Mode- und Architektur-Katalog der 60er Jahre. Und der Hauptdarstellerin mit der überirdischen, puppenhaften Schönheit einer verwunderten Quellnymphe mag man gern zusehen. Auch das Schach ist realistisch dargestellt in der Serie DAS DAMENGAMBIT auf Netflix.
Und wenn diese Serie einen bisher nicht gekannten Schachboom auslösen kann, dann beweist es sich erneut: Es geht nichts über die Kraft einer gut erzählten Geschichte.
Das könnte sich durchaus auch der Schachverband für seine Öffentlichkeitsarbeit notieren. 

Auf Netflix gibt es jetzt einen weiteren Schachfilm, tatsächlich der beste den ich kenne, der bisher ein wirklicher Geheimtipp war:
"Das Königsspiel" (org. "Searching for Bobby Fischer"). Der legendäre Fischer ist auch hier in gewisser Weise dabei. Erzählt wird aber die wahre Geschichte eines Kindes in New York, das beginnt Schach zu spielen und schnell darin gut wird. Dieses Kind hieß Josh Waitzkin und sein Vater hat später das Buch geschrieben, welches dem Film als Vorlage diente.  Der Film übertreibt an manchen Stellen aus dramaturgischen Gründen (in typisch amerikanischer Weise), aber die grundlegenden Dinge haben viele Kinder, Eltern, Trainer so oder ähnlich erlebt. Angemerkt sei noch, dass einige Szenen damals im Washington Square Park am Originalschauplatz gedreht wurden. Mittlerweile ist der Park umgebaut.

Und dann gibt es da noch eine überraschende Verbindung zwischen "Das Königsspiel" und "Das Damengambit". Der tatsächliche Trainer von Josh Watzkin war Schachmeister Bruce Pandolfini, der im Film von Ben Kingsley gespielt wird. Bruce Pandolfini war ebenfalls 1983 der schachliche Berater von Walter Tevis, als dieser sein Buch "The Queen´s Gambit" schrieb. Und als Netflix 2020 das Buch als Serie verfilmte, war Bruce Pandolfini erneut einer der Berater.

Das Leben von Bobby Fischer wurde übrigens 2014 auch verfilmt, sehr gut und nahe an den bekannten Fakten. "Bauernopfer - Spiel der Könige".

Übrigens stehen diese plötzlich begehrten edlen historischen Holz-Uhren aus der Serie noch regelmäßig neben den Brettern der Schachfreunde Hettstedt (und anderer Vereine in Mansfeld-Südharz). 
Die neuen, modernen, weitaus praktischeren Elektronik-Schachuhren sehen im ungünstigten Fall aus wie die reichliche Notdurft eines grauen Roboters, im günstigsten wie ein roter Schreibtisch-Lautsprecher.  Und sie sind derart transportunfreundlich, dass man quasi gezwungen ist, einen Spezialkoffer dazu zu kaufen.

Auf dem Free-TV-Sender ARTE kam kürzlich eine interessante und kurzweilige Sendung über SCHACH IM FILM. Aber Vorsicht, wer die Dokumentationen von Arte als wirkungsvolle meditative Einschlaf-Hilfe gewohnt ist, der könnte von der Schnittfrequenz glatt erschlagen werden:  https://www.arte.tv/de/videos/100210-002-A/blow-up-schach-im-film/

In vielen Zeitungen erscheinen derzeit Artikel über das "neue Phänomen" Schach, darunter dieser in der Süddeutschen Zeitung. Er gefällt mir, weil er aus der Sicht eines Nicht-Schachspielers geschrieben ist : 
https://www.sueddeutsche.de/stil/schach-damengambit-boom-1.5181978
Schach gibt es seit 1500 Jahren - wahrscheinlich viel länger - es hat in allen Epochen die Menschen begeistert. aber meist nur wenige, Auserwählte. Und es ist schön, das seine Faszination jetzt für kurze Zeit ein sehr öffentliches Geheimnis ist.